Kein South-Stream wegen Brüssel?
Der Ausbruch der Ukraine-Krise hat alles geändert: Das Gazprom-Projekt „South-Stream“ ist zu einem Politikum geworden. Das war mal anders. Alle Seiten sollten profitieren. Russland als Pipeline-Betreiber und Exporteur. Und Europa wollte sich zusätzliche Gasmengen sichern. Weiteres Ziel war die Diversifikation der europäischen Bezugsquellen. In dem Fall nicht in Bezug auf das Herkunftsland. Sondern viel mehr mit Blick auf die existierenden Pipelines. Mit gutem Grund – so fließen bislang ungefähr 50 Prozent des für Europa bestimmten russischen Gases durch die Ukraine. Belegt Russland die Ukraine mit einem Lieferstopp, ist jedes Mal die Versorgung Europas gefährdet.
Für die EU-Kommission scheint die Lage entschieden. Diese bemängelte bereits im letzten Jahr die South-Stream-Abkommen mit den betreffenden europäischen Staaten (Bulgarien, Griechenland, Italien, Ungarn, Slowenien, Österreich). Sie entsprächen nicht den Vorschriften des 3. Energiepakets zur Entflechtung, hieß es. Das Paket war bis 2011 in nationales Recht umzuwandeln – und somit für Bulgarien bindend. Es verbietet, dass ein und derselbe gleichzeitig Lieferant und Betreiber ist – was auf Gazprom bei South-Stream zutrifft.
Russland ließ sich davon nicht beirren und reichte bei der Welthandelsorganisation (WTO) eine formale Beschwerde gegen die EU und das Energiepaket ein. Auch die Bulgaren ließen sich nicht beeindrucken. Diese begannen kurzerhand, einen Passus ihres Energiegesetzes umzuschreiben. Darin wird der Pipeline-Abschnitt zu einem Verbindungsstück umdefiniert, welches nicht unter EU-Recht fällt.
Das rief die EU-Kommission erneut auf den Plan. Sie erwirkte einen vorläufigen Baustopp. Mit weitreichenden Folgen. Jetzt steht in Bulgarien eventuell die Neuwahl eines Ministerpräsidenten an. Hintergrund: Der parteilose Ministerpräsident Orescharski führt eine Regierungskoalition aus der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP) und der Partei der türkischen Minderheit (DPS). Orescharski wollte den Bau stoppen, bis der Disput mit der EU gelöst ist. Nun drängt ihn der Parteichef der Bulgarischen Sozialistischen Partei (BSP), Rossen Plewneliew, vom Amt zurückzutreten. Mit Erfolg: Orescharski erklärte letzte Woche seine Bereitschaft zum Rücktritt. Die harsche Gegenreaktion der Sozialisten ist wenig verwunderlich. Die BSP hat traditionell eine sehr enge Bindung zu Russland, denn sie geht aus der ehemaligen Bulgarischen Kommunistischen Partei (BKP) hervor.
Jetzt ist also der Ukraine-Russland-Konflikt offiziell im europäischen Mitgliedsraum angelangt. Und greift schon um sich. Im South-Stream-Vertragspartnerland Serbien ist man sich offensichtlich auch uneins. Die pro-europäische Vizepremierministerin, Zorana Mihajlovic, kündigte einen Baustopp an. Der EU-kritische Ministerpräsident Serbiens, Aleksandar Vu?i? , widersprach ihr entschieden. „Kein Wort wahr. Was uns angeht, geht beim South-Stream-Projekt alles weiter wie geplant“, so Vu?i?. Noch ist Serbien zwar nicht EU-Mitglied, will es aber werden.
Mögen Bulgarien und Serbien kein besonderes Gewicht innerhalb der EU haben, so sind diese Entwicklungen doch besorgniserregend. Mal abgehsehen von den Ideologiekämpfen: Eine weitere Leitung nach Europa ist gut für unsere Versorgungssicherheit. Das lässt sich einfach nicht bestreiten. Mehr Pragmatismus wäre angebracht. Die EU-Kommission versteckt sich jedoch lieber hinter vermeintlichen Rechtsfragen. Das wirkt ziemlich abgehoben. Zudem offenbart die EU hier wieder, wie dirigistisch sie ist. Dabei gäbe es verschiedene Lösungsansätze. Dass „North-Stream“ gebaut wurde, ist Beweis genug.